St. Willehad Katholische Kirchengemeinde Wilhelmshaven

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Armut und Nachhaltigkeit – wie soll das gehen?

Welche Rolle das Thema bei Sozial- und Wohlfahrtsverbänden spielt und was ein Armutsforscher dazu sagt

Gesunde Ernährung und ein nachhaltiger Lebensstil prägen nicht nur unseren ökologischen Fußabdruck, sondern sind auch teuer. „Hartz IV“-Empfänger oder Menschen mit geringem Einkommen können sich das nur in den seltensten Fällen leisten, dabei ist die Gruppe am stärksten vom Klimawandel betroffen.

Unsere Redaktion hat bei verschiedenen Wohlfahrt und Sozialverbänden nachgefragt, wie Armut und Nachhaltigkeit zusammenpassen.

Sich gesund zu ernähren, nachhaltig zu leben, all das kostet Geld.

Caritasverband für das Dekanat Wilhelmshaven e.V.

„Nachhaltigkeit und Armut schließen sich nicht gegenseitig aus.

Jedoch bedingen sie einander in vielen Bereichen.

Global ist die Priorität der wegweisende Aspekt. In vielen Ländern der Welt bestimmt die Armut und der Kampf ums Überleben den Alltag, weshalb kein Platz bleibt, um an das Thema Nachhaltigkeit oder Klimawandel zu berücksichtigen.

National gibt es durchaus Möglichkeiten Armut und Nachhaltigkeit punktuell zu vereinen.

Als katholischer Wohlfahrtsverband ist die Wertschätzung und Wahrung der Schöpfung in unserem Leitbild verankert. So nehmen wir den Gedanken mit in unsere tägliche Arbeit.
Da wo es Sinn ergibt, fließt auch der Nachhaltigkeitsgedanke, in unsere tägliche Beratungsarbeit mit ein. Wir stehen unseren KlientInnen anwaltschaftlich zur Seite und stellen Sie und Ihre Bedürfnisse ins Zentrum unserer Arbeit.

Es gibt Bereiche in denen Nachhaltigkeit teurer ist, wie z.B. in der Automobil- und Lebensmittelindustrie sowie Energiewirtschaft. Viele der dort angebotenen nachhaltigen Erzeugnisse sind für Menschen, die jeden Monat erneut Ihr Geld eng zusammenhalten müssen, nicht leist- und realisierbar.
Andererseits gibt es auch einige hilfreiche nachhaltige Lebensweisen, bei denen sogar finanziell gespart werden kann. Der Bereich des Second-Hand Marktes, der sowohl lokal als auch online stark verbreitet ist, kann bei geschickter Anwendung den monatlichen Haushalt deutlich entlasten. Gerade hier ist der Schöpfungsgedanke leitend. Es muss nicht immer die neue Jeans oder das neue Spielzeug sein. Meist gibt es dieses gebraucht im guten Zustand zu deutlich günstigeren Konditionen. Auch die Pflege und Wartung von und der bewusste Umgang mit eigenen Besitzgütern, kann den Geldbeutel entlasten. Möbel, Kleidungsstücke, o.ä. können durch gute Behandlung und Pflege deutlich länger genutzt werden und müssen nicht zwingend sofort durch Fabrikneue ersetzt werden.

Wichtig ist, dass alle im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Nachhaltigkeit beitragen können. Es ist nicht das unumstößliche Ziel, eine hundertprozentige Nachhaltigkeit zu erreichen. Sondern es ist wichtig, dass jede sich darauf besinnt, welcher Teil im Rahmen der individuellen Möglichkeiten beigetragen werden kann.

Regional schaue ich leider sehr besorgt in die Zukunft. Die Folgen der Pandemie und des Krieges treffen Wilhelmshaven bereits und werden uns noch hart treffen. Inflation, steigende Energie- sowie Lebenserhaltungskosten und die hohe Überschuldung in Wilhelmshaven (Laut Schuldneratlas Deutschland der Creditreform belegt Wilhelmshaven mit einer Überschuldungsquote von 15,57 % im Jahr 2021 Platz 8 der 401 deutschen Kreise und kreisfreien Städte mit der höchsten Überschuldung) stellen die BürgerInnen Wilhelmshavens vor große Herausforderungen. Hier ist es wichtig hilfestellend zur Seite zu stehen. Die Beratungsnetze der allgemeinen Sozial-, Schuldner- und Migrationsberatung sind bereits völlig überlastet. Der Bedarf wird zukünftig noch steigen, sodass der Ausbau der Beratungskapazitäten für Hilfe zur Selbsthilfe ebenfalls ein elementares Thema sein wird."

Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland

„Nachhaltig keit ist in unseren Beratungen überhaupt kein Thema“, erklärt Olaf Schubert von der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven-Friesland (ALI).

„Für viele wird es schon zum Problem, Leuchtmittel auf LED umzustellen, weil es kaum leistbar ist.“

Ein Großteil seiner Klienten gehe zur Tafel und leiste somit einen kleinen Beitrag zur Nachhaltigkeit. „Jeder möchte sich natürlich gesund ernähren und Bioprodukte kaufen, aber für eine Vielzahl von Menschen ist das nicht möglich.“ Gerade die aktuelle Kostenexplosion verschärfe das Problem.

Regional schaue ich leider sehr besorgt in die Zukunft.

Die Folgen der Pandemie und des Krieges treffen Wilhelmshaven bereits und werden uns noch hart treffen. Inflation, steigende Energie- sowie Lebenserhaltungskosten und die hohe Überschuldung in Wilhelmshaven (Laut Schuldneratlas Deutschland der Creditreform belegt Wilhelmshaven mit einer Überschuldungsquote von 15,57 % im Jahr 2021 Platz 8 der 401 deutschen Kreise und kreisfreien Städte mit der höchsten Überschuldung) stellen die BürgerInnen Wilhelmshavens vor große Herausforderungen.

Hier ist es wichtig hilfestellend zur Seite zu stehen. Die Beratungsnetze der allgemeinen Sozial-, Schuldner- und Migrationsberatung sind bereits völlig überlastet.

Der Bedarf wird zukünftig noch steigen, sodass der Ausbau der Beratungskapazitäten für Hilfe zur Selbsthilfe ebenfalls ein elementares Thema sein wird.

Diakonisches Werk Friesland-Wilhelmshaven

Heide Grünefeld ist Theologin und Migrationsberaterin des Diakonischen Werks Friesland-Wilhelmshaven. „In der Regel leben Menschen, die von Armut betroffen sind oder ein niedriges Einkommen beziehen, unfreiwillig klimafreundlicher. Denn sie leisten sich eben keine teuren Reisen oder kein fünftes Paar Schuhe“, sagt Grünefeld und fügt hinzu: „Niemand sucht sich Armut oder ein niedriges Einkommen freiwillig aus.“ In den Beratungen spiele das Thema Nachhaltigkeit eher eine untergeordnete Rolle.

Menschen, mit geringem Einkommen leben unfreiwillig klimafreundlicher  

Heide Grünefeld Migrationsberatung Diakonie

„Wir betreuen Menschen, die so multiple Probleme haben, dass sie oft einfach nicht den Kopf für solche Themen haben.“

Es sei wichtig, diese nicht zu verurteilen und zu stigmatisieren, wenn sie beispielsweise Billigfleisch kauften. „Wir kennen die Gründe nicht, warum jemand arm ist, und sollten daher vorsichtig mit Vorurteilen sein.“

Familienzentrum West

Das Familienzentrum West ist eines von vier Zentren in Wilhelmshaven, die unterschiedliche Angebote im Bereich Freizeit, Beratung, Pädagogik und Information bieten.

Sie ist damit Anlaufstelle für viele und stark im sozialen Raum verankert.

„Das Thema Nachhaltigkeit und Armut ist bei uns im Haus natürlich ein großes Thema und wir versuchen im wieder Aufklärungsarbeit zu leisten“, betont die Sozialpädagogin Imke Diefenbach-Janßen.

Mit Angeboten mithilfe von Kooperationspartnern versuche man Familien zu zeigen, wie mit vermeintlichem Müll weiter gearbeitet oder gebastelt werden könne.

Auch die Zweigstelle des Cari-Secondhand-Lädchens befindet sich im Familienzentrum.

Hier können Familien unabhängig vom Einkommen Kleidung spenden und sich bei Bedarf neue Kinder-Secondhandkleidung wieder mitnehmen.

„Wir müssen weg von der Konsumgesellschaft, denn Kinder brauchen nicht viel und auch nicht immer die neuesten Sachen. Kleidung, Bücher und Spielsachen können gut Secondhand oder im Tausch erworben werden“, findet Diefenbach-Janßen.

Man müsse Kinder in dieser Hinsicht stärken.

Quelle: Wilhelmshavener Zeitung von Kea Ulfers vom 22. August 2022

 

Zukunft Leben 

ist ein gemeinsames Projekt des Jeverschen Wochenblattes und der Wilhelmshavener Zeitung. Wöchentlich, immer montags, beschäftigen sich die Autoren mit der Frage, wie wir in Zukunft (besser) leben können und mit Ressourcen schonender umgehen.

Dabei werden verschiedene Aspekte des alltäglichen Lebens beleuchtet.

 

Die ökologischen Probleme entstehen nicht durch arme Haushalte

Ungleichheit |  Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg erklärt, warum Klimapolitik so ungerecht ist – Schieflage hat sich entwickelt

Frage: Armut und Nachhaltig – wie passt das zusammen?

Olaf Groh-Samberg:

Das ist eine sehr komplexe Frage. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Einkommensposition von Haushalten und ihrem ökologischen Fußabdruck. Generell sind die ärmeren Haushalte die, die einen geringen ökologischen Fußabdruck haben als reichere Haushalte. Einfach, weil sie weniger ökonomische Ressourcen haben und dadurch weniger konsumieren. Die eigentlichen ökologischen Probleme entstehen nicht durch arme Haushalte.

Frage: Sie forschen zu Ungleichheitsdynamiken in Wohlstandsgesellschaften. Wie ungleich ist die Gesellschaft in Deutschland?

Groh-Samberg:

Man kann auf jeden Fall sagen, dass wir einen langen Trend der steigenden ökonomischen Ungleichheiten haben. Eigentlich zieht sich das schon durch die letzten vier Jahrzehnte. Über diesen Zeitraum hinweg sind die ökonomischen Ungleichheiten immer größer geworden und gerade Bereich der Armut sieht man, dass die Armutsquoten kontinuierlich angestiegen sind über die letzten Jahre und Jahrzehnte. Insgesamt gehen die ökonomischen Ungleichheiten in Deutschland schon sehr lange auseinander.

Frage: Viele blicken besorgt in den Herbst. Was kommt da auf die Gesellschaft zu?

Groh-Samberg:

Leider eine ganze Menge. Auch hier kann man sagen, dass von den steigenden Lebensmittelpreisen und Heizkosten wieder ärmere Haushalte deutlich stärker betroffen sind, weil ein viel größerer Anteil ihres gesamten Haushaltsbudgets für diese Bedarfsgüter verwendet wird.

Frage: Im Schnitt sind nachhaltige Produkte 70 bis 80 Prozent teurer als konventionelle. Wie ungerecht ist das?

Groh-Samberg:

Die Ungerechtigkeiten sind eklatant. Ich glaube wirklich, dass die ärmeren Haushalte aufgrund ihrer geringen ökonomischen Ressourcen gar nicht die sind, die am stärksten die Umwelt durch ihren Lebensstil belasten. Sie sind trotzdem eben die, die am stärksten von Preissteigerungen betroffen sind. In mehrfacher Hinsicht sind sie immer die Benachteiligten.

Frage: Die Klimapolitik wird oft als unsozial bezeichnet – wer weniger verdient, muss einen viel größeren Teil des Einkommens dafür ausgeben. Stimmen Sie der Ansicht zu?

Groh-Samberg:

Wenn wir den ökologischen Fußabdruck senken wollen, müssen wir das bei den Haushalten tun, die einen ressourcenintensiven Lebensstil führen und das sind reichere Haushalte. Subventionen für klimaneutraleres Heizen werden dann eher von diesen Haushalten abgegriffen, das kann man natürlich auch unter der Gerechtigkeit kritisieren. Unter ökologischen Gesichtspunkten ist es logisch, dass diese Maßnahmen erst einmal die reichen Haushalte adressieren müssen, denn die sind für den Großteil des ökologischen Fußabdrucks verantwortlich. Die Frage der Sozialgerechtigkeit muss man gesamtgesellschaftlich beantworten, da hat sich schon lange eine Schieflage entwickelt, und dagegen muss unbedingt etwas getan werden.

Frage: Und was können man dagegegen tun?

Groh-Samberg:

Wir müssen umverteilen, und zwar nicht von unten nach oben, wie das über die letzten Jahrzehnte hinweg passiert ist, sondern umgekehrt.

Zur Person

Prof. Dr. Olaf Groh Samberg (Bild) ist Professor an der Universität in Bremen für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildung, Arbeit und Soziale Ungleichheit.

Er forscht zu Ungleichheitsdynamiken in Wohlstandsgesellschaften