St. Willehad Katholische Kirchengemeinde Wilhelmshaven

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25. Februar 2023

Zeit der Erneuerung für die Kirche

In dem Fastenhirtenbrief von Bischof Dr. Felix Genn wirbt er dafür, Christus in der Fastenzeit besser kennenzulernen.

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

auch in diesem Jahr darf ich Sie zur österlichen Bußzeit herzlich grüßen. Es ist eine Zeit der Erneuerung für unsere Kirche. Sie muss es sein. Erneuerung fängt aber immer bei Christus an, kommt nur von Ihm her, beginnt im Hören auf Gott, beginnt im Gebet. Der Synodale Weg in Deutschland, der weltweite Synodale Weg, die Erneuerung in unserem Bistum und den Ortsgemeinden ist so - und nur so - denkbar. So ist die Zeit der 40 Tage als Möglichkeit zu sehen, das, was wir in der Taufe empfangen haben, zu vertiefen. Im Gebet zum Fest „Taufe des Herrn“ haben wir gebetet, „dass auch wir, die aus dem Wasser und Heiligen Geist wiedergeboren sind … als deine Kinder aus der Fülle des Geistes leben.“ Was für ein kraftvolles Gebet, was für ein großes Wort!

Ich spreche dieses Wort zu Ihnen in einer Zeit gewaltiger Umbrüche. Es ist gerade ein Jahr her, dass über Nacht ein Krieg in Europa ausgebrochen ist. Vieles erinnert mich an die Erzählungen meiner Kindheit und an den lebhaften Geschichtsunterricht über das, was mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verbunden war. Vieles ist ähnlich, anderes aber auch neu. Ein Volk wurde durch eine völkische Ideologie von einem Aggressor mit Krieg überzogen, dies mit der irrsinnigen Begründung, es handele sich um eine Verteidigung gegenüber Aggressionen, die von diesem Volk ausgegangen sind. Neben dem furchtbaren Krieg kommt auch der russische Staatsterrorismus hinzu, mitgetragen von der russisch-orthodoxen Kirche. Eine Zeitenwende ist es in der Tat gewesen; denn die Folgen dieses Angriffes und Krieges sind für uns bis zur Stunde spürbar. Illusionen wurden vernichtet, der Gedanke an eine gute, vertrauensvolle, friedliche Zusammenarbeit und der gute Wille dazu, haben nicht die Kraft, dem Bösen, das sich in einem solchen Krieg zeigt, zu widerstehen. Was das noch für weitere Konsequenzen für die Ordnung in Europa haben wird, vermag niemand in dieser Stunde zu sagen, in der ich diese Worte schreibe.

Ob man in späteren Zeiten vom Jahr 2022 auch im Blick auf die kirchliche Situation von einer Zeitenwende sprechen wird, vermögen wir nicht zu beurteilen. Eines ist deutlich geworden: Die Krise der Kirche, die durch die Offenlegung des sexuellen Missbrauchs und dessen Vertuschung beschleunigt wurde, hat zu großem Misstrauen innerhalb und außerhalb geführt. Dabei ist die Gefahr nicht zu übersehen, dass wir um uns selber kreisen. Auch die notwendigen Strukturreformen, die in unserem Bistum in den nächsten Jahren vorgesehen sind und in den kommenden Monaten in eine Entscheidungsphase geführt werden, dürfen uns nicht daran hindern, über all das hinaus unser Leben als getaufte und gefirmte Christinnen und Christen nach dem Evangelium zu gestalten und durch dieses Zeugnis andere mit dem Evangelium und dem Leben Jesu Christi in Berührung zu bringen. Wie gewaltig wäre hier eine Umkehr! Mehr denn je wird mir bewusst, dass – obwohl die bekannten Fragen wichtig wie auch drängend sind – etwas anderes wichtig ist: Die persönliche Nachfolge, das Leben mit Christus zu gestalten, die Liebe und Vergebung zu leben, großherzig zu sein, die Weite des Herzens zu wahren, in Gottes Nähe zu bleiben.

Die kommenden 40 Tage dienen dazu, dass wir uns immer neu auf diese Spur begeben. Letztlich muss sich jeder Einzelne, muss ich mich, für konkrete Schritte der Umkehr, der Vergebung und der Liebe entscheiden und sie tun.

An diesem 1. Fastensonntag bittet die Kirche im Gebet des Tages darum, dass der allmächtige Gott uns die Gnade gewährt, „durch die jährliche Übung der 40 Tage Christi Geheimnis besser zu verstehen und, indem wir danach leben, auf seine Wirkungen aus zu sein.“ Wir sollen so leben, dass wir an Seinem Leben, Sterben und Auferstehen teilhaben. Ich habe hier den lateinischen Text einmal wörtlich wiedergegeben1 . Diese Bitten und Aussagen können ein guter Leitfaden sein für den Impuls, den ich Ihnen persönlich und für Ihr gemeindliches Leben in diesem Jahr mitgeben möchte. Auch ich möchte in dieser Zeit aus diesen Vorsätzen leben:

1. Die 40 Tage werden als jährliche Übung verstanden, gewissermaßen also Exerzitien, wie wir es aus dem Sport oder beim Militär kennen. Dahinter steckt der Gedanke, dass wir in unserem religiösen Leben immer wieder eine Einübung brauchen, die uns bewusst werden lässt, dass alles in unserem Leben, auch Glaube, Hoffnung und Liebe im Alltag abschleifen können. Im gewöhnlichen Betrieb, der uns Tag für Tag umgibt, treten Abnutzungserscheinungen auf.

Wie kann das geschehen? Darüber sagt uns das Gebet zu Beginn der Fastenzeit nichts. Es benennt aber das Ziel: Christus und das Geheimnis Seiner Person besser zu verstehen, Ihn also mehr und mehr kennenzulernen, um so immer tiefer einzudringen in das, was Sein Leben und Seine Botschaft besagen, und wie sie Leben prägen und gestalten können. Es wird das Ziel genannt, dass wir durch dieses Bedenken und Leben eine Effektivität, eine Kraft erhalten, die wirksam ist, die die Welt verbessern kann.

2. Wenn ich nun diesen Gedanken weiter verfolge und konkret eine Anleitung versuche, schlage ich vor, sich bewusster von Sonntag zu Sonntag von den Lesungen anregen zu lassen. Daraus kann man jeweils ein Wort, einen Satz oder eine gute Auslegung aus der Predigt in die Woche mitnehmen und bedenken. Unser christliches Leben wird genährt durch Wort und Sakrament. Wir leben vom Wort, wir leben vom Brot. Wenn wir wortlos werden, vor allem in einer Beziehung, ist das der Beginn des Todes einer Beziehung, einer Freundschaft, einer Partnerschaft. Deshalb ist es so gut und notwendig, um eine Person, und erst recht die Person Jesu Christi, besser zu verstehen, sich von dem anregen zu lassen, was diese Person mir sagt und zu vermitteln hat, durch Wort und Zeichen, durch Wort und Sakrament, durch Wort und Eucharistie. Welches Wort aus den heutigen Lesungen könnte das für die kommende Woche sein?

3. Dabei bin ich bei einem dritten Gedanken, der sich für mich aus dem heutigen Evangelium ergibt: Jesus fastet, und Er ist aufgrund dieser Fastenkur auch körperlich geschwächt. Dadurch ist Er für Versuchungen anfällig. Das hebt dabei den Anreiz des Bösen: Das, was Er von Gott erfahren hat, wozu Er sich von Gott geführt weiß, als überflüssig anzusehen und sich besser dem auszusetzen, was rationaler zu sein scheint, pragmatischer, was ihn, was uns groß und mächtig erscheinen lässt. Dem aber widersteht Er. In einer großen souveränen Freiheit macht Er deutlich, dass Er sich an Gott gebunden weiß, an Sein Wort und an Seine Gebote.

Kompromisse, oft aus gutem Willen, schleichen sich ein. Im Zuge einer Fusion fragte ein Mitglied im Kirchenvorstand in einer Sitzung einmal, wie es denn möglich sein könne, das Vermögen der Gemeinde vor den anderen zu retten. Eingeleitet wurde die Frage mit dem Wort: Lassen wir das Christliche doch einmal kurz weg! Aber wir haben kein Ethos, keine Moral, die mal da, mal weg ist. Wir sind Christen.

Nun könnte jemand sagen, dass er eine solche extreme Versuchung nicht erlebt. Das mag sein. Aber ich glaube, dass es sich lohnt, einmal näher hinzuschauen, wo ich mich von dem entferne, was ich im Innersten als richtig erkannt habe. Ich glaube, dass jeder die Versuchung kennt, sich selbst zu entfremden, um vor anderen gut dazustehen. Ich glaube auch, dass jeder von uns die Versuchung kennt, sich selbst zu belügen, obwohl man im Tiefsten weiß, wie es eigentlich um mich steht. Das kann bisweilen eine harte Übung sein, sich diesem Prozess auszusetzen und Zeiten der Stille und der Begleitung durch jemand anderen, um zu sich selbst zurückzufinden und dabei auch die Bereitschaft zu entdecken, die eigenen Grenzen zu bejahen und anzuerkennen. Ist jemand an diesen Punkt gelangt, wird er auch fähiger, zu erkennen, dass es jemanden gibt, der größer ist als mein eigenes Ich, dem ich mich sogar verdankt weiß.

Liebe Schwestern und Brüder, Übungen, wie die der Fastenzeit, können effektiv sein und zu einer Vertiefung meines Mensch- und Christseins beitragen. Das ist eine interessante Erfahrung, dass Religionen, wenn sie kraftvoll geblieben sind, genau wussten, dass es immer dazu auch einer gewissen Anstrengung bedarf, um die Wirkungen zu erzielen, um die es in der Tiefe beim religiösen Leben geht: Um mehr Glauben und Vertrauen, um die Kraft der Hoffnung und vor allem eine echte selbstlose Liebe.

Liebe Schwestern und Brüder, ich weiß nicht, was uns in den kommenden Monaten erwarten wird. Das gilt gesellschaftlich, das gilt weltpolitisch, jeder von uns wird sein Leben in diesen jeweiligen Situationen bewältigen müssen. Dazu können Glaube, Hoffnung und Liebe, anders gesagt, das Leben aus der Taufe, eine echte Quelle sein, die auch dann nicht leer wird, auch wenn es um uns herum ziemlich heftig stürmen kann.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine gesegnete Zeit der Vorbereitung auf Ostern und zum Fest selber eine tiefe innerliche Freude und großen Frieden. Dazu segne Sie der allmächtige und gütige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Münster am Fest der Darstellung des Herrn, dem 2. Februar 2023

Ihr Bischof Felix