Manche Leute beklagen sich derzeit über die Unfreundlichkeit, die ihnen begegnet. In den Geschäften kann man es nicht richtig machen und wird dauernd von anderen Kunden oder dem Personal gemaßregelt, gefälligst den Abstand einzuhalten oder doch mal auf den Boden zu schauen, welchen aufgeklebten Pfeilen man nachgehen soll.

Andere gucken einen böse an, weil man sich geräuspert hat. Manche Leute kommen einem mittlerweile sehr genervt vor und andere schauen mürrisch aus der Wäsche.

Sicher; viele haben allen Grund, besorgt und unzufrieden zu sein. Und dennoch: es gibt auch das andere:

Ich habe kürzlich einem Organisten und einem Küster gesagt, bald würden sie durch die derzeitige Mehrzahl an Gottesdiensten und die aufgelaufenen Hochzeiten etc. mehr zu tun bekommen. Darauf die einhellige Antwort: „Dafür hatten wir ja jetzt lange weniger zu tun!“

Im Buchgeschäft fragte ich die Betreiberin, wie sie damit klar käme, gerade das Geschäft übernommen und gleich schon wochenlang dicht gemacht zu haben. Sie sagte, sie hätte so viele Bestellungen von Kunden entgegen genommen und ihnen die Bücher nach Hause geliefert. Und sie fügte hinzu: „Jetzt weiß ich, wo meine Kunden alle wohnen.“

Eine alte Dame sagte mir, dass, wenn sie klagen würde, es auf „hohem Niveau“ geschähe.

Alles das macht mir Mut; die Zufriedenen, Zuversichtlichen und Freundlichen machen mir Mut. Vielleicht sogar noch mehr die Unfreundlichen, Unzufriedenen, die Meckerer und Protestierer. Denn gerade letztere zeigen mir, wie ich es nicht machen möchte.

Von daher: danke den einen wie den anderen. Ich weiß umso mehr, dass das Glas nicht halb leer, sondern halb voll ist.

Pfarrer em. Holger Kintzinger

 

(Dieser Artikel ist am 22. Mai 2020 „Mut machen in der Corona-Krise" erschienen, unter der Überschrift  „Halb leer oder halb voll?": WZ und die Kirchengemeinden machen diese gemeinsame Aktion. Die Impulse erscheinen an jedem WZ-Erscheinungstag)