Orte geben Zeugnis über das Unrecht
KRIEGSENDE IN WILHELMSHAVEN - Ökumenische Gottesdienst erinnerte an die Befreiung der Stadt und „Exodus“- Flüchtlinge

© WZ-Foto: Björn Lübbe
Nach dem Gedenkgottesdienst anlässlich des 79. Jahrestags der Befreiung Wilhelmshavens unternahmen die Teilnehmer einen Schweigemarsch zur Gedenkstelle im Herzen des Dorfes, die an das Schicksal der vielen Passagiere des Flüchtlingsschiffes „Exodus“ erinnert, welche 1947 in Sengwarden strandeten, nachdem man sie im Hafen von Haifa zur Umkehr zwang.
Es war vor 79 Jahren, am 6. Mai 1945, um kurz nach elf Uhr, als die Stadt Wilhelmshaven an die 10. polnische Panzerbrigade übergeben wurde.
Zwei Tage später kapitulierte Nazi-Deutschland - die Waffen schwiegen. Mit einem ökumenischen Gottesdienst in der St. Georgs Kirche und einem anschließenden Schweigemarsch zur Gedenkstele im Herzen des Ortes wurde am Montag nicht nur der Opfer des Krieges und des Nationalsozialismus gedacht, sondern gleichzeitig auch das Schicksal der jüdischen Exilanten wachgerufen, welche 1947 in Sengwarden eine vorübergehende Bleibe fanden.
Und in diesem Zusammenhang war die Andacht geprägt von mahnenden Worten, Weckrufen der Erinnerung, die darauf hinwiesen, dass vieles, was mit der Befreiung ermöglicht wurde, in der heutigen Zeit wieder bedroht oder in Abrede gestellt wird.
Zusammenarbeit mit „Historisches Denken“
Die Gedenkstunde wurde in enger Zusammenarbeit der Beteiligten des Arbeitskreises „Historisches Gedenken“ der Stadt ausgerichtet. Der liturgische Teil wurde von den Pastoren Frank Moritz und Kai Wessels sowie Dechant Andreas Bolten gestaltet, weitere Wortbeiträge trugen die Leiterin des Schlossmuseums in Jever, Dr. Antje Sander, der ehemalige evangelische Pastor und Mitbegründer des Gröschlerhauses in Jever, Volker Landig, und Bürgermeisterin Astrid Zaage vor.
Musikalische Beiträge wurden von Organist Florian Bargen gestaltet.
An der Organisation wirkte die Leiterin des Kulturbüros, Dr. Stela Dujakovic, mit.
Am Gottesdienst nahmen einige Vertreter von Rat und Verwaltung, Sengwarder und Wilhelmshavener teil.
Die Eröffnungspredigt von Pastor Frank Moritz folgte dem Goethe-Zitat „Wer sich des Guten nicht erinnert, hofft nicht“. Er betonte die Bedeutung des Gedenkens gerade mit Blick auf die jüngsten Angriffe auf Politiker und Wahlkampf-Helfer in Dresden, auf den wieder erstarkenden Antisemitismus in Deutschland sowie den jüngsten Brandanschlag auf die Oldenburger Synagoge. „Das muss uns alarmieren“, warnte Moritz.
Landig überbrachte Grüße von Cwi Chatkewicz, der 1947 in der heutigen Admiral-Zimmermann-Kaserne in Sengwarden das Licht der Welt erblickte.
Dort saßen seine Eltern, Mala und David Chatkewicz, neben zahlreichen weiteren Jüdinnen und Juden fest, nachdem ihnen die britische Verwaltungsmacht die Einreise nach Palästina an Bord des Schiffes „Exodus“ verweigerte.
Auszüge aus dem Tagebuch vorgelesen

(Quelle/Source: Government Press Office/The National Photo Collection – Jerusalem – D820-024/Frank Shershel)
Die Exodus im Hafen von Haifa.

Bildquelle: Wikimedia Commons / Pikiwiki Israel
Die „Exodus“
Vor fünf Jahren reiste Cwi Chatkewicz mit Freunden und Verwandten nach Sengwarden, um der Einweihung der Gedenkstelen für die Menschen an Bord der „Exodus“ beizuwohnen.
Im Anschluss verlasen Pfarrer Bolten und Astrid Zaage Auszüge aus dem Tagebuch von David Chatkewicz, in welcher dieser die von Strapazen und Ungewissheit geprägte Reise von Frankreich nach Haifa und - nach der Abweisung durch die Briten - wieder zurück schilderte.
Im Anschluss an den Gottesdienst unternahmen die Teilnehmer einen Schweigemarsch zur Gedenktafel in der Dorfmitte, wo Zaage im Namen der Stadt einen Kranz niederlegte.
Sander hob an dieser Stelle hervor, wie sehr die Bedeutung von Gedenkorten wie diesem in diesen und folgenden Jahren, angesichts der immer weniger werdender Zeitzeugen und derer Nachkommen, wachsen wird.
„Nur Orte können Zeugnis über das erlittene Unrecht geben“, sagte Sander.
Auch für die Nachkommen der Opfer würden sie wichtige Anknüpfungspunkte bilden. „Sie zeigen, dass wir, als Volk der Täter, an sie denken. In unseren Nachbarschaften das Gedenken wachzuhalten, ist Kernaufgabe für unsere politische Bildung.“
Quelle: Wilhelmshavener Zeitung von Hartmut Siefken vom 7. Mai 2024