St. Willehad Katholische Kirchengemeinde Wilhelmshaven

Navigationsmenüs (Bischöflich Münstersches Offizialat)

107 Opfernamen gegen das Vergessen

Was es mit der neugestalteten Gedenkstätte auf Sandes Evangelischen Friedhof auf sich hat

Verschleppt zur Zwangsarbeit auf einen Bauernhof im Wangerland, dort im September 1944 von der Gestapo erhängt. Im Beisein von Landsleuten. Es ist das schreckliche Schicksal von Stefan Fijalkowski aus Polen, der auf dem Zentralen Friedhof für ausländische Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft seine letzte Ruhe gefunden hat. Das Grabfeld liegt auf dem Gelände des Friedhofes der Ev. Kirchengemeinde Sande hinter dem Rathaus.

Der Name Stefan Fijalkowski steht auf der Info-Tafel an einer Stele am Rande der neu gestalteten Gedenkstätte – stellvertretend für die vielen Opfer aus Polen, der ehemaligen Sowjetunion, Belgien, Niederlande, Slowakei, Tschechien, Frankreich und Italien. 107 an der Zahl, darunter 28 Kinder.

Am Mittwoch wurde die neue Gedenkstätte der Öffentlichkeit übergeben. Und das nach vielen Jahren der Diskussion und Planung. Viele Wegbereiter sind gekommen. Ebenso Gäste aus Politik und Verwaltung. Kreispfarrer Christian Scheuer, Dechant Andreas Bolten und Vater Serafin der russisch-orthodoxen Gemeinde Leer gestalten die gemeinsame Andacht.

Für Pastor Jörg Zimmermann ist es ein ganz besonderer Tag so kurz vor seinem Weggang aus Sande: Aus dem einst holprigen Rasenfeld und verwitterten Steinkreuz sei nach all den Jahren ein würdiger Ort der Erinnerung geworden, sagt er und erzählt von der Begegnung mit einer alten Sanderin an der Gedenkstätte. Für sie sei der Ort von Kindesbeinen an unheimlich gewesen. Ein Ort, der von Sandern „Ausländerfriedhof“ genannt und über den viel geredet wurde. Dennoch würden vor allem jüngere Sander viel zu wenig darüber wissen oder das geschichtsträchtige Grabfeld gar nicht kennen.

Genau das soll die neue Gedenkstätte ändern und die schlimmen Ereignisse wieder vor Augen führen. Und es funktioniert: Viele Menschen würden nun am Steinkreuz stehen bleiben und innehalten, hat Scheuer aus dem Fenster der Pastorei gleich nebenan beobachtet. „Es freut mich, wie viel Interesse an diesen Ort erwacht ist.“ Zugleich hätten die Opfer nun wieder einen Namen – und somit einen Teil ihrer Würde zurückbekommen. Zu lesen sind sie auf den fünf Pultsteinen – eingraviert auf Tafeln. Durch die Recherche in Zusammenarbeit mit dem Schlossmuseum Jever sind die Gräberlisten aufgearbeitet worden. Hierdurch können die meisten der 107 bestätigten Opfer benannt werden. Mit Geburts- und Sterbedatum sowie der jeweiligen Staatsangehörigkeit. Zudem sind auch die bestehenden Grabsteine gereinigt worden. Ebenso das Steinkreuz: Die alte Inschrift werde noch ausgebessert, sobald es das Wetter zulässt, so Zimmermann. Am Kreuz ist noch von 102 Opfern die Rede.

Knapp 15500 Euro hat die Neugestaltung gekostet, vom Land gab es Fördergelder in Höhe von 9500 Euro und von der Regionalstiftung der LzO eine Spende von 3000 Euro. Die Gemeinde Sande musste 3000 Euro Eigenanteil beisteuern.

„Wir haben eine Spur des Krieges wieder deutlich sichtbar gemacht“, sagt Bürgermeister Stephan Eiklenborg. Den Initiatoren dankt er für ihre langjährige Hartnäckigkeit – allen voran dem ehemaligen Sander Pastor Gerd Pöppelmeier und dem Historiker Holger Frerichs vom Schlossmuseum Jever.

„Nie wieder – dieser Vorsatz muss jeden Tag erneuert werden“, betont Landrat Sven Ambrosy. Wenn die Erinnerung verblasse, bereite das Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit den Boden. Aus diesem Grund seien Erinnerungsorte so wichtig. Und so ist die Sander Gedenkstätte in das Projekt „Erinnerungsorte Friesland“ des Schlossmuseums Jever aufgenommen worden. „Es gibt kaum noch Zeitzeugen“, macht Museumsleiterin Dr. Antje Sander die Bedeutung des Projektes deutlich. Was bleibt, seien die Orte der Erinnerung.

Quelle: Wilhelmshavener Zeitung von Stephan Giesers vom 18. März 2021