St. Willehad Katholische Kirchengemeinde Wilhelmshaven

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Kinder und Jugendliche: Ein schwieriger Weg zurück aus dem Lockdown

Lockerungen begünstigen die katholische Jugendarbeit

Für viele Kinder und Jugendliche war die Lockdown-Zeit anstrengend und einsam – und hat ihre Spuren hinterlassen. Jetzt machen Lockerungen viele Jugendangebote wieder möglich. Für die Jugendeinrichtungen gibt es deshalb viel zu tun.

Zu Hause bleiben, kein Präsenz-Unterricht, sondern lernen vor dem Bildschirm, Freizeitangebote wenn überhaupt nur sehr eingeschränkt – das war für die Kinder und Jugendliche in Deutschland über Monate Realität. An vielen ist das nicht folgenlos vorübergegangen: Etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen zeigt Studien zufolge Verhaltensauffälligkeiten, ist etwa unruhiger oder ängstlicher, auch Kopfschmerzen gehören zu den Symptomen. Zum Leben in der Familie gab es kaum Alternativen wie soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen oder etwa Sportvereine. In einem Alter, in dem Jugendliche sich mehr und mehr vom Elternhaus entkoppeln und auf eigene Füße stellen, ist das ein Problem. Viele Aufgaben also für die Jugendarbeit, die nun im Zuge der Corona-Lockerungen wieder mehr und mehr öffnen darf.

Rahel Kordecki hat festgestellt, dass die jungen Menschen verändert aus dem Lockdown gekommen sind. "Sie sind hibbeliger und unkontrollierter", sagt die Leiterin von "Haven 84", dem Jugendtreff der Gemeinde St. Willehad im niedersächsischen Wilhelmshaven. "Gleichzeitig sind sie auch ein bisschen faul geworden, weil sie nur zu Hause vor dem Computer gesessen haben und kaum etwas gemacht haben." Kinder müssten zur Aktivität also erst einmal wieder motiviert werden.

Marc Munz beobachtet auch, dass sich das Zusammenspiel der Kinder verändert hat. Empathiefähigkeit sei verloren gegangen, es falle den Jugendlichen schwerer, Gestik und Mimik von anderen zu interpretieren, so der Leiter der von der katholischen Jugendagentur betriebenen "Offenen Jugendarbeit Odenthal" und dem Kinder- und Jugendzentrum "Megafon" im Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus hat er auch neue Themen der jungen Menschen festgestellt: "Sie haben nun die Erfahrung einer Krise mit globalen Auswirkungen gemacht, dadurch sind sie weniger sorglos und gehen vorsichtiger durch die Welt."

Spielen und Zuhören

Auf diese Ausgangssituation reagieren Kordecki und Munz mit Klassikern der Kinder- und Jugendarbeit: Spielen und Zuhören. Durch das Spielen, oder auch bei Mannschaftssportarten soll die Sozialkompetenz wieder aufgepäppelt werden, denn hier sind gemeinsames Handeln und Team-Denken gefragt. Besonders junge Kinder sind nach etwa drei Monaten wieder im sozialen Netz.

In anderen Fällen ist Zuhören wichtig: Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Schulabschlussjahrgänge mussten auf alles verzichten, was diese Lebenswende sonst prägt: Eine große Feier, eine gemeinsame Fahrt – also Formen, auch emotional mit der Schule abzuschließen. Nicht nur, aber auch bei ihnen ist nun ein offenes Ohr gefragt. Es sei wichtig, den Kindern auch bei scheinbaren Kleinigkeiten ein Ohr zu leihen, so Kordecki: "Wenn sie erzählen, dass ihre Eltern sie nerven, weil sie schlechte Noten mit nach Hause bringen, sind oft größere Geschichten dahinter. Die Kinder brauchen Zeit und Aufmerksamkeit, damit sie ihren Frust ablassen und sich wieder reseten können." Für Munz steht im Mittelpunkt: "Gemeinschaft und Sicherheit bieten, Ziele für das nächste Jahr fassen und mit den Jugendlichen gemeinsam überlegen, was sie auch in der Gemeinschaft gern machen wollen." So werde sich die Jugendarbeit auf die Bedürfnisse der Jugendlichen einstellen.

Veränderungen durch die Pandemie?

Das könnte nicht die einzige Veränderung sein, die die katholische Jugendarbeit nach Corona durchmachen wird. Auch das Thema Hygiene wird seine Wichtigkeit behalten – schließlich sind nun auch Kinder und Jugendliche darauf getrimmt, auf Sauberkeit zu achten, bei sich selbst, aber auch an Tischen, Stühlen und Bechern. Weiterhin könnte die digitale Arbeit zunehmen – wie in der gesamten Gesellschaft. Denn die stetige Arbeit am PC wird kein Corona-Phänomen bleiben. Da Jugendliche seines Erachtens zu viel konsumierend vor Bildschirmen sitzen, will Munz sie zu Akteuren machen. Während des Lockdowns hat er eine Aktion mit einem ferngesteuerten Auto gestartet: Darauf war eine Kamera montiert, die live ins Netz gestreamt hat. Die Jugendlichen konnten sich abwechseln und die Richtung ansagen, in die das Auto gesteuert werden sollte. Auf einem Parcours durch den Ort konnten Süßigkeiten gesammelt werden, die sich die Kinder später am Fenster der Einrichtung abholen konnten. Momentan brauche man den Kindern mit Digitalem allerdings nicht kommen: Jetzt wollten sie wieder offline spielen, so Munz.

Das beobachtet auch Kordecki in Wilhelmshaven. Sie glaube nicht, dass sich die Jugendarbeit grundlegend verändern wird. Man dürfe Kinder auch nicht mit Angeboten überfordern, gerade wenn überall wieder alles öffne. Sie setzt stattdessen auf ein bodenständiges Angebot, in dem sich die Kinder in allererster Linie wieder persönlich begegnen könnten. Digitaler ist es allerdings auch bei ihr geworden: Die Kontaktaufnahme geht per Messengerdienst oder Nachricht in Sozialen Netzwerken nämlich schneller als per Anruf oder Mail – und die Hürden, einfach mal anzuklopfen, sind niedriger.

Nicht im Alleingang

Die Verantwortlichen der Jugendarbeit sind sich über eines im Klaren: Im Alleingang können sie den vom Lockdown heruntergezogenen Kindern nicht helfen. Sie können erkennen und begleiten, mehr aber nicht. "Halt geben ist Aufgabe der Eltern", formuliert es Munz. Gerade in diesem Punkt zeigen sich auch bei den Kindern soziale und familiäre Unterschiede. Studien mit Kindern und Jugendlichen haben gezeigt, dass Kinder eher ein Risiko haben, psychische Störungen zu entwickeln, wenn sie sozial benachteiligt oder ihre Eltern stark psychisch belastet sind. Die psychische Gesundheit der Eltern und Kinder hängt also eng zusammen. Wie gut die psychische Gesundheit der Eltern ist, hängt wiederum vom sozialen Netz und der Sicherheit oder Unsicherheit im Beruf ab. Bei vielen Effekten ist noch nicht klar, wie weitreichend sie sein werden und wie schnell sich die Kinder wieder erholen.

Beobachten heißt also im Moment noch das Gebot der Stunde: Wo hat ein Kind Potentiale, wo fehlt noch etwas – das wird sich im sozialen Miteinander erst mit der Zeit herausstellen. Welche alten Freundschaften haben die Krise überlebt, welche neuen haben sich gebildet, wer ist einsamer als vorher – das soziale Netz knüpft sich gerade neu. Das zeigt sich etwa auch beim Sprachvermögen: Da viele Kinder in den vergangenen Monaten schlicht weniger gesprochen haben, hat ihre Grammatik und ihr Wortschatz gelitten, nicht nur bei Kindern mit Migrationshintergrund. Auf Eltern und Betreuer kommt also eine fordernde, aber auch spannende Zeit zu – die auch endlich wieder von mehr Gemeinschaft geprägt ist.

Quelle: katholisch.de von Christoph Paul Hartmann vom 3. Juli 2021