St. Willehad Katholische Kirchengemeinde Wilhelmshaven

Navigationsmenüs (Bischöflich Münstersches Offizialat)

Vereinigte Staaten mit Bahn erkundet

FERNWEH - Höhepunkt zur Jahrtausendwende: 16 Jugendliche reisten in den Osterferien durch die USA

Wie kommt man dazu, die USA mit dem Zug zu durchqueren? Mit dem Flieger oder den Greyhounds geht es doch viel bequemer und schneller! Das ist natürlich Ansichtssache und für überzeugte Bahnfans ist das keine Frage: Bahnfahren!

In den 50er Jahren am Börsenplatz aufgewachsen, hatten wir aus der zweiten Etage immer einen freien Blick auf den Bahnhof und konnten die ein- und ausfahrenden Züge sehr gut beobachten und auch, ob sie den Fahrplan einhielten. Und da meine Eltern kein Auto hatten, wurden alle Reisen zu den Großeltern immer mit dem Zug und Fahrrad durchgeführt.

Im Oktober 1989 wollte ich ein befreundetes Ehepaar besuchen, das für ein Jahr nach Washington, D.C. versetzt worden war. Bei der Vorbereitung der Reise stieß ich auf die Möglichkeit, die USA mit der Bahn zu erkunden. Das läuft alles etwas anders ab als bei uns in Deutschland.

Zuständig für den Personenverkehr in den USA ist die staatliche Eisenbahngesellschaft Amtrak, was soviel bedeutet wie „amerikanischer Schienenweg“. Nach dem Zusammenbruch vieler privater Eisenbahngesellschaften und der Einstellung des allgemeinen Personenverkehrs hat die Amtrak 1971 diese Sparte übernommen. Zwar ist das Flugzeug das hauptsächlichste Verkehrsmittel in den USA, doch wer Zeit hat, fährt Amtrak.

Anders Bahnfahren

Das Reisen mit Amtrak ist nicht mit einer Bahnfahrt im üblichen Sinne zu vergleichen. Niemand blickt gestresst auf die Uhr, niemand kommt im vollen Zug ständig den Beinen des Nachbarn in die Quere und niemand beklagt sich über die lange Reise. Jeder hat einen Sitzplatz und genießt im Lounge-Car die großartige Aussicht und die ungeheure Weite des Landes, gemütlich bei einem Buch und einer eisgekühlten Coke.

Man muss wissen, dass die Züge oft auf den alten Routen fahren, abseits jeder Straßen, auf abenteuerlichen Strecken durch Gebirge mit einer herrlichen Aussicht. Und es sind lange Distanzen, die von den Überlandzügen zurückgelegt werden. Manche sind drei Tage unterwegs. Da kommt man mit vielen Leuten ins Gespräch!

Um das zu erleben, kauft man sich einen Rail-Pass, die Kosten belaufen sich auf 490 bis 950 Euro inklusive Sitzplatz – und es sind nicht mehr Leute im Zug als Sitzplätze vorhanden sind. Also ganz bequemes Reisen. Ich war begeistert von meiner ersten Fahrt im Osten der USA von Washington, D.C. über Miami, New Orleans, Chicago, New York und zurück nach Washington, D.C.

Im Oktober 1997 bin ich mit meinem Sohn in die USA geflogen, 14 Tage mit der Bahn durch die Staaten gereist. Unterwegs war der Zug nahe der Stadt La Junta für 24 Stunden eingeschneit. Das Zugpersonal „stürmte“ einen Supermarkt und kaufte 500 Pizzen, die unentgeltlich serviert wurden. Diese Reise war der Startschuss für eine Fahrt in den Osterferien 2000 mit 16 Jugendlichen unserer katholischen Kirchengemeinde. Wir hatten uns intensiv mit den USA und den zu besuchenden Städten und Sehenswürdigkeiten beschäftigt und für uns einen Reiseführer erstellt.

Start in Kanada

Unsere Bahnfahrt startete in Montreal (Kanada). Dazu steigt man nicht einfach in den Zug ein, sondern ähnlich wie beim Flughafen hält man sich in einer Wartehalle/einem Wartesaal auf, bis der Zug in den Bahnhof eingefahren ist. Erst dann wird man über Lautsprecher aufgefordert, zum Zug zu gehen. Dort erwartet einen der Schaffner, der beim Einsteigen behilflich ist und die Platzkarten verteilt. Mit dem „Adirondack“ (alle Züge in den USA und Kanada haben besondere Namen) ging es in einer Tagesfahrt nach New York, vorbei und ganz dicht entlang am Lake Champlain. Im Herbst und Frühling eine landschaftlich wunderschöne und farbenprächtige Strecke!

New York ist natürlich die Stadt, in der es (fast) keine Nacht gibt. Es ist immer was los. So waren wir auch viel unterwegs: Empire State Building, World Trade Center, Fährfahrt nach Staten Island, Freiheitsstatue, UN-Gebäude, Central-Park und Brooklyn Bridge u.v.m. Geschlafen haben wir übrigens immer kostengünstig in Youth-Hostels oder auf Überlandstrecken im Zug. Man kann aus den Sitzen bequeme Liegesitze machen.

Von New York nach Washington, D. C. braucht der Zug nur gut drei Stunden. Dort hatten wir uns mit einer diakonischen Gruppe verabredet, die sich um obdachlose Jugendliche und unterprivilegierte Schwarze kümmert. Das ganze Projekt ist auf Spenden aufgebaut. Es gibt keine staatlichen Zuschüsse. Natürlich waren auch die Höhepunkte Washingtons im Programm: Kapitol, das Weiße Haus, Washington Monument, der Friedhof Arlington, das Air and Space Museum und das History Museum. Wir bekamen noch eine Einladung vom deutschen Militärattaché in Washington, der uns von der Arbeit eines Attachés und der Botschaft berichtete.

In einer Nachtfahrt ging es mit dem „Capitol Limited“ nach Chicago. Eine kurze Stippvisite dort, Besichtigung des Sears-Towers und eine Fahrt mit der „Loop“, einer Hochbahn auf Stelzen als Ringlinie um den Kern der Stadt. Nachmittags mit dem „Southwest Chief“ in einer 30-stündigen Fahrt nach Flagstaff in Arizona. Eine grandiose Strecke durch die Rocky Mountains mit vielen Kehren und eine grandiose Aussicht vom Dome-Car mit seiner Glaskuppel.

In Flagstaff nutzen wir den Tag zum Besuch des Grand Canyon, eine 450 Kilometer lange Schlucht, die zu den großen Naturwundern der Erde zählt. Sie ist bis zu 30 Kilometer breit und bis zu 1800 Meter tief. Sie wurde durch den Colorado River ins Gestein gegraben. Deutlich lassen sich bei der Tiefe die vielen Gesteinsschichten erkennen.

USA = Fastfood

Wir verpflegten uns unterwegs teils selbst, teils in den Youth-Hostels oder mit Fast Food. Die USA sind nicht gerade als das Land der Feinschmecker bekannt. Was „typisch“ amerikanisch ist, wenn es um’s Essen geht, lässt sich meiner Erfahrung nach kurz zusammenfassen: Die Amerikaner akzeptieren das Angebot einer standardisierten Küche. Die der Schnellrestaurants sind auf Einheits-Speisekarten programmiert. Der Kaffee ist wesentlich dünner als bei uns, dafür bekommt man ihn kostenlos nachgegossen. An den Salatbuffets kann man sich nach Herzenslust bedienen. Vorwiegend gibt es Weißbrot und Toast.

Weiter ging es über Nacht mit dem „Southwest Chief“ nach Los Angeles. Hollywood, die Universal Studios und der „Walk of Fame“ standen auf dem Plan. Der Einblick in die Studios, deren Technik, die Entstehung eines Films sowie unser Mitwirken als Statisten für Besucherfilme waren schon beeindruckend.

Die Bahnhöfe liegen fast immer in der City. Somit braucht man keinen Shuttle vom Flughafen zum Hotel, sondern ist direkt in der City und kann loslegen. Auch das ist ein Vorteil der Bahn. Das gilt leider nicht für San Francisco, unserer nächsten Station. In einer zwölfstündigen Fahrt bringt uns der „Coast Starlight“ nach Oakland. Von dort geht es mit einer sogenannten „Motorcoach Connection“ nach San Francisco in die Market Street.

San Francisco ist immer ein Highlight: Ob es das Klima ist, die Menschen, die Stadt — es hat einfach Flair! Der Besuch der Golden Gate Bridge, eine Fahrt mit dem Cable Car und Besuche auf der Fishermen’s Warf und in Chinatown waren ein Muss. Highlight war eine Mountainbike-Tour über die Golden Gate Bridge nach Sausalito. Dort gibt es eine österreichische Bäckerei. Nach der reichhaltigen amerikanischen Küche war der Kuchen dort ein Wahnsinnsgenuss. Zurück ging es mit der Fähre und dem Blick auf die Skyline von San Francisco.

Zeit vergeht

Die Ferien waren begrenzt, obwohl der damalige Schulleiter seinen Schülern noch einen Tag extra gegönnt hatte. So mussten die Sachen gepackt werden, was aber auch Vorteile hatte: Wir lebten ja alle aus dem Rucksack, der zuhause unbedingt gelüftet werden musste. Eins ließen wir uns bei der Fahrt zum Flughafen nicht nehmen: Wir bestellten drei Großraumlimousinen, die uns standesgemäß zum Flughafen brachten. Zehn Dollar kostete der Spaß für jeden, aber unser Kleingeld mussten wir ja nun langsam loswerden. Eine tolle Tour mit den Jugendlichen war das und mir juckt es jetzt schon wieder in den Fingern.

Freundliche Amis

Die Vereinigten Staaten von Amerika – ein Land, in dem alles „big“ ist: die Landschaft, die Weite, die Gebäude, die Autos, die vielen Museen. Die Amerikaner sind uns Deutschen gegenüber sehr freundlich und aufgeschlossen. Viele haben Vorfahren aus Deutschland oder waren während ihrer Militärzeit hier stationiert. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hegten die amerikanischen Soldaten kein Feindbild gegen Deutschland. Und es ergeben sich schnell Kontakte mit den Amerikanern. Uns Deutschen werden scheinbar Attribute wie Fleiß, Tüchtigkeit und Wissensdrang zugesprochen. Die Amerikaner schwärmen oft von deutschen Autos, deutschem Essen und Bier.

Wir hatten zwei Wochen lang die in dieser Form einmalige Gelegenheit, eine „neue Welt“ zu erkunden – aber eine, die doch ganz anders war, als wir sie aus der Ferne kannten und uns vorgestellt haben.

Quelle: Wilhelmshavener Zeitung von Raphael Helms vom 19. April 2021