Ökumenische Erinnerung an einen schrecklichen Tag
Dienstag jährt sich schwerster Bombenangriff auf die Stadt zum 80. Mal

© St. Willehad Gemeinde
St. Willehad Kirche
Flammen schlagen meterhoch aus den Häusern in der Bismarckstraße. Sämtliche Leitungen der Straßenbahn liegen auf den Straßen verteilt. Anne Völkers (96) hat die Bilder noch genau vor Augen.
Sie ist 16 Jahre alt, als Wilhelmshaven am 15. Oktober 1944 von einem schweren Bombenangriff heimgesucht wird.
Am kommenden Dienstag jährt sich dieser Tag zum 80. Mal.
15-minütigen Glockengeläut | Wahrnehmen und innehalten
Mit einem 15-minütigen Glockengeläut erinnern die Banter Kirche und die St. Willehad Kirche dann um 16 Uhr an die Zerstörungen und das große Leid.
Der Angriff vom 15. Oktober 1944 gilt als einer der schwersten auf die Stadt 492 Bomber der britischen Luftwaffe werfen innerhalb weniger Stunden Tausende Sprengbomben, fünf Luftminen, ungefähr 1780 Stabbrandbomben und zahlreiche Flüssigkeitsbrandbomben über Wilhelmshaven ab.
41 Menschen sterben, 92 erleiden zum Teil schwere Verletzungen.
Gut 15.000 Menschen sind plötzlich obdachlos, denn mehr als 4.000 Gebäude sind zerstört.
Darunter auch die Banter Kirche, die Garnisonkirche, die katholische St. Marienkirche und die zum Teil bereits durch andere Bombardierungen beschädigte St. Willehad Kirche.
Von der Pfarrkirche St. Marien bleiben nur einige Mauerreste übrig.
Die Angriffe treffen besonders das Altstadtgebiet. Bis über die Werftstraße hinaus liegt die Stadt in Trümmern. Eine „altes“ Wilhelmshaven gibt es am Morgen des 16. Oktober 1944 nicht mehr.
Ökumenischer Verbundenheit
In ökumenischer Verbundenheit wollen die Banter Kirche und die St. Willehad Kirche daran erinnern.
„Wie muss sich das angefühlt haben, die eigene Kirche in Flammen aufgehen zu sehen?“, fragt Anke Stalling, Pastorin der Banter Kirche. „Ein Ort, der für Segen und Gebete steht, in dem Menschen oft Schutz suchen.“
Gedenkkultur pflegen
Mit dem Läuten der Glocken wollen die beiden Kirchengemeinden die Gedenkkultur pflegen.
„Es soll aber auch eine Mahnung sein, sich weiterhin für Frieden einzusetzen“, sagt Andreas Bolten, Dechant und leitender Pfarrer der Kirchengemeinde St. Willehad.
Angesichts der vielen Krisen und Kriege auf der Welt wachse die Unsicherheit der Menschen.
Versöhnung
Aber Bolten und Stalling sind sich einig, dass es immer auch Versöhnung geben müsse.
„Die Wege zueinander dürfen nicht versperrt sein, es muss immer die Möglichkeit des Dialogs geben“, sagt Bolten.
Für das Glockengeläut habe man sich auf 16 Uhr geeinigt, auch wenn der Bombenangriff einige Stunden später stattfand.
„Wir hoffen, dass die Menschen es wahrnehmen und innehalten“, sagt Stalling.
Am Volkstrauertag, 17. November 2024, erinnert die Banter Kirche in einem Gottesdienst noch einmal an die Zerstörung der Banter Kirche.
Er wird von Pastor Frank Moritz und Ursula Aljets gehalten.
Als Wilhelmshaven in Flammen stand
Anne Völkers ist damals 16 Jahre alt und sitzt im Kino – 350 Großbrände nach Bombenangriff im Oktober 1944

© WZ-Foto: Dirk Gabriel-Jürgens
Die 96-jährige Anne Völkers kann sich noch genau an den 15. Oktober 1944 erinnern.
Ein herbstlicher Sonntag: Es herrschen Temperaturen um die 15 Grad. Am Morgen des 15. Oktober 1944 registriert die Luftverteidigungszentrale gegen 8.10 Uhr den Einflug eines Aufklärers. Seine Flugroute führt von Nordholland über Emden bis nach Wilhelmshaven. Von der dortigen Flak wird er beschossen. Der Aufklärer dreht wieder ab. Es sind die Vorboten für das, was Wilhelmshaven an diesem Sonntag noch bevorstehen wird.
Bis nach Mitternacht im Bunker geblieben
Radargeräte orten gegen Abend die ersten Bomber, um 18.55 Uhr wird Fliegeralarm ausgelöst. Die 96-jährige Anne Völkers kann sich noch genau an diesen Tag erinnern. Sie ist 16 Jahre alt und sitzt zusammen mit ihrer älteren Schwester im Kino.
Dort, wo heute der Teepalast beheimatet ist, steht 1944 an der Markt-/Ecke Parkstraße das Kino „Capitol“. Selbst an den Film erinnert sich die heute 96-Jährige. „Wir schauten ,Gefährlicher Frühling’. Doch bereits vor dem Film mussten wir aufgrund des Fliegeralarms aus dem Kinosaal.“
Erste Leuchtkaskaden werden gegen 19.32 Uhr abgeworfen, es folgen tausende Spreng- und Brandbomben. Mit ihrer Schwester flieht Völkers in den nahe gelegenen Bunker. „Der ganze Bunker bewegte sich, als wäre er von einer Bombe getroffen worden.“
Doch er hält stand. Die beiden jungen Frauen sind zunächst in Sicherheit. Als es still wird und keine Einschläge mehr zu hören sind, wollen Völkers und ihre Schwester nach Hause. „Wir mussten noch ganz in Richtung Stadtparkkolonie. Unsere Mutter wusste ja nicht, ob wir noch lebten.“
Aber der Luftschutzwart des Bunkers lässt sie nicht gehen. „Er hat uns gewarnt, weil alles in Flamme stehe. Wir könnten nicht zurück durch die Marktstraße gehen.“ Bis weit nach Mitternacht harren sie im Bunker aus, bis sich ihre ältere Schwester energisch durchsetzt. Das Ausmaß des Angriffs offenbart sich ihnen erst jetzt. „Viele Häuser standen in Flammen, überall lagen Trümmer.“
Familien verlieren ihr Zuhause
Gebäude, die durch bisherige Angriffe nicht beschädigt wurden, stürzen jetzt der Reihe nach ein. Noch im Bombenhagel beginnen die Löschkräfte mit der Arbeit, benötigen aber zunehmend Unterstützung, denn Wilhelmshavens Altstadt steht in Flammen. Männer werden aus den Bunkern geholt, um die Löschkräfte zu unterstützen. Nahezu 350 Großbrände und über 900 kleinere Brände stellen die Feuerwehr vor große Herausforderungen. Einige Gebäude brennen mehrere Tage lang.
„Als wir Zuhause ankamen, ist meine Mutter in Tränen ausgebrochen.“ Andere Familienmitglieder können sich gerade so retten. So bringt sich der Onkel von Anne Völkers aus einem brennenden Haus an der Börsenstraße in Sicherheit. „Die haben nur noch die Betten aus dem Fenster geworfen und sind gelaufen“, berichtet die 96-Jährige. Für viele Bewohner der Stadt beginnt nach dem 15. Oktober eine schwere Zeit. Familien haben ihre Wohnungen und damit ihr Hab und Gut verloren. Einige Gebäude werden notdürftig wieder hergerichtet. Doch die Wohnungen sind feucht, die Brennstoffversorgung verschlechtert sich und so bleiben die Wohnungen trotz des nahenden Winters kalt.
Bereits 1943 im Keller verschüttet
Es ist ein Kinobesuch, den Anne Völkers ihr Leben lang nicht vergessen hat. Auch wenn es bei weitem nicht das Schlimmste war, was ihr im Krieg widerfahren ist.
Ein Jahr zuvor, 1943, wird sie in einem Keller verschüttet, kann sich unverletzt befreien. Schwer fällt es ihr nicht, diese Erinnerungen zu teilen. „Ich habe kein Trauma davongetragen. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass meine Mutter nie Angst hatte. Wir waren irgendwann an die zahlreichen Fliegeralarme gewöhnt.“ Bei überstandenen Fliegeralarmen habe es manchmal ein Schlückchen Cointreau gegeben, den der Vater aus Frankreich mitgebracht hatte. Dort kämpfte er in der Bretagne.
Aber eines kann sie dann doch nicht ertragen. Zeigt das Fernsehen Aufnahmen aus den Kriegsgebieten der Ukraine oder dem Nahen Osten, stellt sie den Fernseher aus. Denn all das hat die 96-Jährige selbst erlebt. Sie muss es nicht noch einmal sehen .